Gewinne realisieren oder Aktien halten?

Seit dem Wochenende beschäftigt mich eine Frage: „Wann Gewinne mitnehmen, wann Wertpapiere halten?

Wie kam es dazu? Bei einer Plauderei mit einer Freundin, nennen wir sie Mia, kam das Thema auf. Mia hatte sich vor einem Monat dazu überwunden, sich mit „dem ganzen Finanzkram“ zu beschäftigen. Und wie! Ein Bankberater hätte weniger Fragen bei einer Anlageberatung gestellt,  als sie mir zum Thema Börse. Toll! Dann kam die Frage nach den Gewinnen. „Wann mitnehmen? Wann nicht? Überhaupt?“ In diesem Stakkato des Wahnsinns gab ich ihr eine Antwort: „Du bist mit der Frage nicht alleine. Ganze Foren werden mit diesem Thema gefüllt…Und ganz ehrlich? Ich weiß es leider auch nicht, wann für dich der richtige Zeitpunkt ist.“ Natürlich war sie damit nicht zufrieden. Ich habe ihr allerdings versprochen, meine Meinung ausführlicher zu beschreiben. Vor allem, weil auch andere Anleger kommentieren können, wie sie dazu stehen. Lasst uns Mia bei dem sehr individuellen Thema helfen.

Kaufen oder Verkaufen, das ist hier die Frage

Sehen wir uns dafür zur besseren Vorstellung das Chart von Microsoft im Zeitraum 01.12.1995 bis 01.11.2018 an.

Microsoft Aktienentwicklung
Microsoft Aktienentwicklung

Wie bei dem letzten Beitrag, in dem es um die Diversifikation ging, spielen wir ein paar Szenarien durch.

Erstes Szenario:

Du bist Investor und kaufst 200 Anteile von Microsoft am 01.12.1995 um $ 5,48 ($ 1.096). Du verfolgst die Kursentwicklung und bist nach einem Kursrücksetzer, genauer am 01.08.1998 beim Preis von $ 23,98 der Meinung, dass die positive Entwicklung jetzt vorbei ist. Du entschließt dich deshalb zu verkaufen. Immerhin sackst du einen Gewinn vor Steuern von 437,32 % ein – also insgesamt $ 4.796.

Du bist vorerst zufrieden und genießt deinen Gewinn. Einen Monat später stellst du fest, dass Microsoft doch gestiegen ist! Was für ein Reinfall! Du ärgerst dich. Zurecht?

Bevor wir diese Frage beantworten, blicken wir noch weiter in die Zukunft. Sagen wir, du hast nach dem Aktienverkauf gar keine Lust mehr auf Microsoft. Ein Freund sagt dir aber, dass er die Aktie noch hält. Er Verkauft am 01.12.1999 mit einem Gewinn von 1064,39 %.

Ach, hättest du die Aktie nur gehalten!!

Zweites Szenario:

Du verkaufst am 01.12.1999 mit 1064,39 % Gewinn. Danach fällt der Kurs. Du hast die Aktie zum richtigen Zeitpunkt abgestoßen. Du hast es doch gewusst! Der Verkaufszeitpunkt war optimal, weil X. Du begründest deinen Verkauf mit irgendeinem Faktor.

Drittes Szenario:

Blicken wir zurück zum 01.01.2016. Kurs: $ 55,09. Du verkaufst am 01.02.2018 bei einem Preis von 93,77, denn jetzt ist ein guter Zeitpunkt – denkst du dir zumindest. Tja, Microsoft legt aber weiter zu. Verdammt!

Gewinne mitnehmen: Was nehmen wir aus den Szenarien mit?

    • Gewinne realisieren ist ein emotionaler Vorgang
    • Der richtige Zeitpunkt ist deshalb meiner Meinung nach, wenn du meinst, dass für dich der richtige Zeitpunkt ist. Dazu später mehr.
    • Verkaufen und danach den Kurs des Wertpapiers checken ist wie Lotto spielen. Du hast gewonnen, oder verloren. Du musst dich ärgern, oder darfst dich freuen.
    • Im Jahr 2000 und 2008/09 waren die Dotcom Krise und die Subprime Krise. Ich war da noch nicht investiert, allerdings habe ich von 08/09 noch die Nachrichten im Kopf. Extrem schlechte sowie dauerhaft schlechte Nachrichten können ein Zeichen sein, um zu verkaufen. Allerdings zeigt zumindest dieses eine Chart, dass ein Durchtauchen und halten auch ok ist. Die Frage ist natürlich, wann diese News veröffentlicht werden.
    • Unternehmensbewertungen können bei der Frage nach dem Verkauf helfen, aber auch hier muss die zukünftige Entwicklung eingeschätzt werden.
    • Begründungen für Halten und Verkaufen basieren auf Erwartungen, die entweder zutreffen, oder nicht. Erwartungen können mit Risiken werden, und daraus ein maximales Risiko festgelegt bei einer Investition werden.

Was könnten wir machen, um eine Gewinnmitnahme plausibel zu machen? Wir könnten uns die negativen Kursentwicklungen ansehen und darauf aufbauend unseren Richtwert festlegen, wann wir verkaufen. Oder von vornherein einen Wert festlegen, bei dem wir “es nicht mehr aushalten, dass unser Vermögen schrumpft“ (=Risikotoleranz). Wir könnten auch die Unternehmen bewerten und anschließend Halten oder Verkaufen. Bei allen Optionen wissen wir aber nicht, wie die zukünftige Entwicklung wirklich aussieht. Was heißt das? Eh schon wissen: Wir verlieren, oder wir gewinnen. Allerdings können wir unsere Verluste von vornherein minimieren, wenn es weiter bergab gehen sollte. 

Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Der richtige Zeitpunkt ist, wenn es für andere falsch ist zu verkaufen. Was meine ich damit?

Eine Gewinnmitnahme ist nur vor sich selbst zu rechtfertigen. Es kann falsch sein, bei $ 50 zu verkaufen, aber auch bei $ 76. Entweder im Vorhinein durch andere Meinungen oder im Nachhinein aufgrund einer Kurssteigerung.

Es kann aber auch richtig sein. Aber wann? Meiner Meinung nach, wenn das Ziel klar ist. Wenn du langfristig anlegst und eine mittlere Risikotoleranz hast, dann könntest du dich dafür entscheiden, bei einem Verlust von beispielsweise 25 % zu verkaufen, aber die Gewinne dauerhaft mitzunehmen.

Entscheidest du dich, eine Aktie zu Zwecken der Spekulation zu kaufen, dann könntest du ein Ziel von +40% anstreben und dann zu verkaufen. Was danach passiert sollte dir dann egal sein, weil du dein Ziel erreicht hast.

Wenn ich mir diese Gedanken noch einmal durchlese, dann wird mir klar, warum dieses Thema immer wieder aufkommt und die Diskussion darüber nie enden wird. Es ist einerseits emotional (“soll ich verkaufen oder nicht”) und andererseits sucht man nach einer Bestätigung für den Verkauf (“Was sagen andere dazu?”). Am Ende des Tages wird die Entscheidung aber klarer, wenn du dir folgende Frage stellst: Was sind deine Erwartungen? Viel besser wäre aber, ein Ziel oder im weiteren Sinne eine Strategie zu verfolgen. 

Was meint ihr zum Thema „Gewinne realisieren oder Aktien halten“? Was würdet ihr Mia sagen?

14 Kommentare zu „Gewinne realisieren oder Aktien halten?“

  1. Hi Mia,
    1) wenn du in ETFs statt in Einzel-Aktien investieren wuerdest, haettest du keine/weniger emotionale Bindung an dein Investment, dann fiele es vielleicht noch leichter NUR zu verkaufen, wenn du das Geld brauchst (irgendwann im Alter).
    2) wenn du dagegen zum Spass an der Freud spekulieren willst, dann koenntest du dich mit Charttechnik und zB gleitenden Durchschnitten beschaeftigen und dann regelbasiert aus- oder wieder einsteigen.
    Das nennt man Trading (nicht Altersvorsorge)!
    3) wenn du Fundamental-Analysen lustig findest, koenntest du berechnen, wann der Fair-Value so weit ueberzogen ist, dass du verkaufst.
    Bzw mehr kaufst, wenn der Kurs faellt (weil sich ja der Markt dann offensichtlich „irrt“ und den wahren Wert noch nicht sieht …)
    Wenn’s schief geht, singe ein paar Strophen Mama-Mia 😉

    1. Hi,
      ja, ich tendiere auch zu ETFs, das erscheint mir am sinnvollsten. Auf so Spekulationskäufe hab ich keine Lust. Genau deswegen ist anlegen für mich eine option weil..
      Haha 😀

      mia

  2. Joerg hat recht.

    Ich finde sinkende Kurse gut. Denn da kaufe ich zu gleichem Preis mehr Stückzahlen eines ETFs ein.

    Bei Einzelaktien wäre also das beste, den Sinkenden Tiefstpunkt abzuwarten und dann nochmal ordentlich nach zukaufen.
    Klingt in der Theorie immer einfacher als in der Realität.
    Das schlimmste was man aber machen kannst sind Angst Käufe und Verkäufe.

    1. ja klingt wahrscheinlich immer besser….;P
      das mit der angst ist ein guter hinweis. da hilft wohl der Tipp von johannes mit der strateige
      zumindest hofft man das ja. aber ist es wirklich so einfach, rational zu bleiben?

      mia

  3. ETFs sind die Lösung für alles. Klimawandel, Altersarmut, Bildungsnotstand, Krise des FC Bayern, Haarausfall etc.

    Blackrock, Vanguard, Soc Gen, Deuba sind alles barmherzige Samariter und sollten als gemeinnützige Vereine geführt werden.

  4. Ich weiß, dass das ein blöder Spruch, aber an Gewinnmitnahmen ist noch niemand gestorben!

    Ich habe mir die Denkweise bei Trades auf Inline-Optionsscheine angewöhnt. Bei 2 EUR das Stück gekauft und für 7 EUR/Stück verkauft. Wenn dann der Inliner ins Ziel gegangen ist (also die Barriere nicht gerissen hat), hätte ich 10 EUR/Stück bekommen – zwar alles brutto, aber erstmal egal.

    Man kann nun sagen, ich habe 3 EUR verloren, da ich ja 10 EUR anstatt der 7 EUR pro Stück erhalten hätte. Stattdessen sage ich mir inzwischen, dass ich zum Zeitpunkt des Verkaufs 5 EUR Gewinn und NICHT 3 EUR Verlust gemacht habe.

    Und zwar immer nur am Tag des Verkaufs. Nachträglich ist man immer schlauer (ach, hätte ich mal lieber gehalten), aber das weiß man ja vorher nicht. Bei Aktien, die ich langfristig halten will, kaufe ich bei Kursschwäche nach, wenn der Rest noch passt oder ich sitze es aus. Bei Trades wie mit Derivaten überlege ich mir schon vorher, was ein guter Gewinn für mich wäre (z.B. in Summe 500 EUR Gewinn nach Steuern) und dann verkaufe ich rigoros. Das kann man lernen, sich über Gewinne zu freuen. Vielleicht helfen die Ideen etwas. 🙂
    VG Markus

  5. Hallo, wie funktionieren ETF´s? Es sind nachgebildete Indexfonds wie z.B. vom Dax, aber wann genau realisiert man Gewinne? Verkauft man dort seine Anteile auch selber wie bei Aktien? Oder wo genau ist hier der Unterschied? VG J. Schmidt

  6. 4. Szenario
    Du kaufst 10 Aktien von xyz zum Kurs von 10€.Wert = 100€
    Du kaufst zu einem späteren Zeitpunkt die gleichen Aktien zu einem Kurs von 15€ nach. Diesmal 5 St. Im Wert von 75€.
    Gesamt Wert: 175€
    Kurs pro Aktie 175/15=11,67€
    Jetzt steigt die Aktie auf sagen wir mal 30€.
    Neuer Wert: 15*30=450€
    Bei dem Kurs verkaufst du 10 St. für 300€
    300-175=125€ Gewinn
    Und du hast noch 5 Aktie im Depot zum Kurs von 11,67€
    Option 1:
    Der Kurs steigt weiter.
    Option 2:
    Der Kurs fällt wieder.
    Solange der Kurs nicht unter 11,67€ fällt, bist du noch auf der Habenseite.
    Fällt der Kurs kann man günstig wieder nachkaufen, steigt der Kurs, kann man auch nachkaufen. Also den Gewinn reinvestieren.
    Bei einem Unternehmen wie Amazon zum Beispiel bei dem man früh genug dabei ist, kann man das doch unendlich machen, oder nicht?
    Hab ich einen Denk oder Rechenfehler?
    Schreibfehler könnt ihr behalten. Habe ich auf meinem Smartphone geschrieben.

    1. Das ist alles irgendwie nicht so richtig sinnig bzw. zu sehr vereinfacht 😀

      Also: erstmal hättest du bei deinem Verkaufsbeispiel 200 € Gewinn, nicht 125 €. Verkauft wird nach FIFO-Prinzip (First-In, First-Out), sprich die 10 Aktien die du zu 10 € gekauft hast gehen zuerst raus. Deshalb macht es auch keinen Sinn, den „Kurs pro Aktie“, wie du es nennst, zu berechnen.

      Natürlich könnte man es nun so machen, wie du sagst und immer Gewinne mitnehmen und dann nachkaufen. Dazu müsste man aber hellseherische Fähigkeiten besitzen und genau wissen, wann die Aktie fällt und wann sie steigt. Wenn das so einfach wäre, würde es wohl jeder so machen.

      Dazu kommt noch, dass du bei jeder Transaktion Kauf- und Verkaufsgebühren hast UND fast 30% Steuern auf deine realisierten Gewinne zahlen musst, was natürlich dein Investitionsvolumen zum Nachkauf von Aktien schmälert.

      Im Endeffekt ist das was du beschreibst eher Trading als Investment. Wenn man gut darin ist, kann man auch durchaus sehr viel Geld verdienen. Aber das gelingt nur den wenigsten und man muss sich sehr intensiv mit dem Thema beschäftigen.

  7. Zum Thema Verkaufen:
    Niemand weiß, was die Zukunft bringt!
    Verkaufe, wenn Du alleine der Meinung bist.

    Gleiche gilt für Kaufen!

    Ich habe noch keine Formel oder Analyse-Möglichkeit gesehen, die mir hilft den Trend oder ähnliches aufzuzeigen. Nicht mal diese neuen Robo-Advisor schaffen hohe Werte, wie es angeblich richtig gute Trader können.

    Ich komme auch nur auf um die 3-4% nach Steuern, da ich alles gleich raus rechne.

    Da ich das nebenher mache sehe ich auch in den Preisen schon das Weltgeschehen eingepreist.

    Na, hauptsache es macht Spaß.

    Weiterhin viel Erfolg, auch im Jahre 2022. 🙂

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