Der junge Dytus sah reiche Bürger durch den griechischen Markt gehen. Sie waren scheinbar glücklich und konnten sich die feinsten Dinge des Lebens kaufen. Wie waren sie wohl zu ihrem Reichtum gekommen? Was bedeutet eigentlich Reichtum? Er wusste, dass er zu seinem Lehrer Sokra gehen musste. Schnell lief er zu dem Platz, bei dem er den alten Mann vermutete. Tatsächlich war Sokra da und machte es sich gerade unter einer kleinen, noch wachsenden Palme gemütlich. Dytus wusste, dass sein Lehrer bereits auf seine Fragen wartete.
Sokra, was ist Reichtum?
Reichtum ist materieller Wohlstand, der an sich nicht positiv und nicht negativ bewertet werden sollte.
Also ist Reichtum nur materieller Wohlstand?
Nein, Reichtum kann viel mehr sein. Ein Mensch kann reich an Erfahrungen, reich an Geld oder reich an Freunden sein. Das alles ist Reichtum.
Das heißt, Reichtum hat keine Beschränkung?
Reichtum ist als Wort nicht beschränkt. Die Bedeutung hängt von subjektiven Empfindungen ab. Allgemein wird man darunter aber wohl „reich sein“ im Sinne von „Vermögen“ und vorwiegend „Geld haben“ verstehen. Wie viel? Auch das ist subjektiv! Schon ein Baby kann im Vergleich zu einem anderen reich sein.
Wenn der Begriff gegenwärtig so verstanden wird, was bedeutet dann Vermögen?
Vermögen ist das was in deinem Eigentum und Besitz steht.
Bei Reichtum gibt es also einen Eigentümer und einen Besitzer?
Richtig. Juristisch ist der Besitz, die possessio, wenn du über eine Sache nur verfügst. Eigentum, wenn du durchsetzbar darüber entscheiden kannst. Der Eigentümer kann vom Besitzer die Herausgabe fordern.
Reichtum ist demnach ein reich sein an Eigentum und Besitz. Aber ist es damit nicht von Vorteil Eigentümer und Besitzer gleichzeitig zu sein?
Das stimmt. Ein Eigentümer und Besitzer hat die vollkommene Herrschaft über eine Sache. Es ist aber auch der reine Eigentum von Vorteil. Als Eigentümer kannst du eine Wohnung an den Besitzer vermieten. Als Besitzer hast du Nachteile: Das Auto ist in deinem Besitz, gehört aber noch jemanden anderen. Bei einem Kredit hast du zwar Geld am Konto, zahlst den Betrag aber zurück und natürlich Zinsen dafür.
Das heißt, man sollte Eigentum anstreben und Besitz verabscheuen?
Nicht jeder Besitz schlecht. Denke an die Leihe von kleinen, schönen Dingen des Lebens wie Bücher oder vorteilhafte Kredite. Auch, wenn du ein Dach über den Kopf haben willst, musst du zwangsweise als Besitzer agieren. Eigentum anzustreben ist nach unseren bisherigen Ausführungen gut.
Das heißt, es gibt guten und schlechten Besitz. Aber ist Eigentum tatsächlich gut? Das führt doch zu gesellschaftlichen Unterschieden. Ein Wohnungseigentümer hat mehr Geld zur Verfügung als ein kleiner Arbeiter. Die Einkommensunterschiede werden doch eklatant!
So wie du es sagst müsste es so sein. Bei der Akkumulation kommt es zu Unterschieden zwischen Menschen, wenn sie nicht gleich viel verdienen. Das darf man nicht unbeachtet lassen. Die ökonomischen Studien haben das bereits erkannt und beschäftigen sich damit. Du solltest aber in diesem Fall klein denken. Eigentum als subjektiver Zweck schadet dir nicht. Dein Vermögen erhöht sich. Das führt zu Freiheiten.
Ich verstehe. Eigentum schadet mir nicht, weil es zu einem größeren Vermögen führt. Vermögen ist also Freiheit und deswegen erstrebenswert?
Freiheit ist vielschichtig. Vermögen kann dir materielle Dinge bieten, die du dir sehnlichst wünschst. Es kann dir zu einem einfacheren Leben verhelfen und anderen Menschen in einer Notlage nützlich sein.
Das heißt, mit meinem Vermögen soll ich konsumieren, mir ein einfaches Leben machen und Menschen helfen?
Ich sagte nicht konsumieren, sondern sprach von der Erfüllung deiner sehnlichsten Wünsche. Damit meine ich ein bewusstes Handeln. Ein einfaches Leben kann alles sein. Es trifft auf den Lebensstil von Diogenes zu, als auch auf Probleme, die du ohne Geld nicht so einfach lösen kannst. Wenn du unbedingt einen Zahnersatz benötigst, ihn aber nicht bezahlen kannst, dann würde dein Vermögen diesen Ersatz ermöglichen und dein Leben vereinfachen. Du könntest außerdem, bei einem sehr großem Reichtum, mehr Zeit für dich selbst haben. Vermögen bringt Macht. Jetzt kommt auch das große Bild ins Spiel. Mit Macht kannst du helfen. Und das solltest du tun! Im kleinen sowie im großen Rahmen. Schließlich sind wir Menschen durch diesen Planeten aneinander gebunden.
Wenn ich aber einen gewissen Reichtum habe, aber doch wieder an andere verschenke, wäre es da nicht besser, von vornherein die Ökonomie zu ändern?
Du stellst gute Fragen, aber kannst du das Wirtschaftssystem ändern?
Wahrscheinlich nicht. Es liegt außerhalb meiner Kontrolle.
Richtig. Richte dich daher auf Handlungen, die innerhalb deiner persönlichen Reichweite liegen. Verwirf diesen Satz aber bei gesellschaftlich relevanten Ereignissen. Nicht immer ist ein Handeln innerhalb deiner Kontrolle sinnvoll.
Das macht Sinn. Sonst könnten Tyrannen ihre Macht entfalten und der Markt müsste nicht auf die Entscheidungen der Konsumenten reagieren. Eines habe ich aber noch nicht verstanden. Wenn Freiheit durch Vermögen entsteht und erstrebenswert ist, warum verlieren sich so viele Menschen in einer Hasstriade gegen Vermögen und sind selbst nicht bereit ein Vermögen aufzubauen?
Am Beginn steht die Perspektive, danach die Eigenverantwortung. Erstens: Ohne die richtige Hinführung und der Wahrnehmung kann ein Mensch Chancen und Probleme nicht sehen. Zweitens muss man bereit sein, finanzielle Entscheidungen zu übernehmen. Drittens ist das Wissen dafür notwendig. Ist es nicht vorhanden, steht die Angst im Vordergrund und nicht das Suchen nach den Möglichkeiten, wie man sein Vermögen vermehren kann. Danach kommt das Tun. Ohne eine Umsetzung ist das Wissen umsonst. Warum scheinbar viele den Vermögensaufbau hassen? Weil sie nur die schlechten Eigenschaften von Vermögen und damit vor allem Geld sehen – was laut Schumpeter übrigens zum Sozialismus führt. Es ist nicht schwer auf Wohlhabende einzudreschen, aber sehr schwer selbst einer davon zu werden. Dabei wäre ein Perspektivenwechsel viel schöner und genugtuender: „Ich kann vermögend werden und etwas bewirken.“ Das ist aber nicht der einzige Grund. Ängste und die Beschäftigung mit dem Thema sind ebenso ein Problem. Die Aufbereitung von finanzieller Bildung wird in den Schulen nur ungenügend umgesetzt. Zusätzlich erschweren die Begriffe in der Wirtschaftswissenschaft, dass sich Menschen damit beschäftigen. Im Gegensatz zur direkten, englischen Art, versteckt sich die Ökonomie im deutschen Sprachraum hinter der Sprache, um sich selbst nicht angreifbar zu machen.
Wenn ich die Perspektive wechsle, wie kann ich dann Vermögen aufbauen, um Reichtum zu erlangen?
Es ist nicht so schwierig. Stelle dir dein Vermögen wie einen See vor. Wie kommt ein See zu seinem Wasser? Durch einen Fluss. Hebe deshalb einen aktiven Einkommensfluss aus, der aus gewöhnlicher Arbeit entsteht und fließt. Damit füllst du den See langsam auf. Er wird aber nicht übergehen, weil immer etwas an Wasser abgepumpt wird. Dein Einkommensfluss muss deshalb stärker sein als der Vermögensverlust, praktisch deine Ausgaben, um nicht auszutrocknen. Hast du das geschafft? Dann kannst du jetzt beginnen, weitere Flüsse anzulegen. Zum Beispiel durch ein eigenes Projekt, Aktien oder andere Finanzinstrumente.
Aber wenn immer mehr Flüsse zum See führen, dann muss er doch irgendwann voll sein und es kommt zu Überschwemmungen…
Du kannst deine Ausgaben erhöhen oder den See erweitern. Überschwemmungen solltest du vermeiden. Das kann schnell zu übertriebenen Geiz führen.
Für Dystus reichte diese Erklärung für den Anfang aus. Auch, wenn er bei ein paar Antworten nachhaken könnte, resümierte er sichtlich zufrieden:
Reichtum ist also Eigentum, Besitz und damit Vermögen. Es ist erstrebenswert, weil es zu Freiheiten führt. Diese Freiheiten können das Leben vereinfachen. Um Freiheit zu erreichen, muss die Perspektive auf Vermögen und damit Geld eine gute sein. Dann machen mehrere Einkommensströme auch Sinn, die wesentlich höher als meine Ausgaben sein sollten. Ich sollte aber nicht nur auf mich selbst achten, um Geiz zu überwinden und Menschen mit weniger Glück, in Not, oder für das allgemeine Wohl zu helfen.
Inspiriert von
- (Textform) Platon – Politeia
- (Reichtum & Glück) Seneca – Vom glücklichen Leben
- sokratische Methode
Den Artikel fand ich klasse! Super Format, dass man das Buch gleich unter dem Post mitnehmen kann. Ich denke, die Idee klaue ich dir! 🙂
Das hat mich total an „Der reichste Mann von Babylon“ erinnert. Im übrigen auch ein super Buch!
Weißt du welchen Reichtum dir keiner nehmen kann? Die Erinnerung. Das ist der größte Schatz, in den es zu investieren gilt. Ich versuche so viele Wunder diese Welt zu sehen, wie es nur geht. Die Erinnerung an solche Erlebnisse verändern einen für immer und die kann einem keiner mehr nehmen! 🙂
Wirklich guter Artikel.
Mir gefällt auch der Stil und die Form der Erzählung sehr.
Es hilft manchmal die etwas trockeneren Finanzthemen in Geschichten aus dem Altertum zu erzählen.
Da kannst Du sehr gut die bildliche Sprache nutzen, um den Leser etwas beizubringen.
Mir gefällt das Format und das kannst Du gerne häufiger machen.
Schöne Grüße
Dominik
Verdammt, Johannes, super Format. Wäre ich im Marketing tätig, würde ich jetzt sagen: „Der Artikel hat starke Resonanz bei mir hervorgerufen.“ Da ich das nicht bin, bekommst du einfach einen Daumen.
Gerade die Antwort von Sokra auf die Frage, warum nicht noch viel mehr Menschen ein Vermögen aufbauen, ist sehr gelungen. Ich habe vor kurzem „Meditations“ von Marcus Aurelius gelesen. Vielleicht finde ich den Stil daher auch so gelungen. Das Buch ist bestimmt unter den Top 5 aller Bücher, die ich jemals gelesen habe. Es hat nicht viel mit Finanzen zu tun. Aber zu begreifen, wie aktuell die Gedanken eines Mannes, der vor nicht ganz 2.000 Jahren gelebt hat, noch heute sind, war großartig. Ein großer Denker. Was ich aus dem Buch mitgenommen habe? Der Kern der Antwort auf die Frage, was Glück bedeutet, ändert sich nicht mit der Zeit. Wir glauben unser Leben hat nichts mit denen der Menschen im Altertum gemein, doch das stimmt nicht.
Mach weiter so!
Pascal
Glückwunsch zu diesem Artikel.
DAS ist wirklich mal was anderes. Und gelungen dazu!
Danke für dafür!
Gruß
Vincent
Hey Vincent,
danke für das Lob 😉
Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel!
<<Eines habe ich aber noch nicht verstanden. Wenn Freiheit durch Vermögen entsteht und erstrebenswert ist, warum verlieren sich so viele Menschen in einer Hasstriade gegen Vermögen und sind selbst nicht bereit ein Vermögen aufzubauen?<<
Das ist mir ziemlich klar: zum einen wollen die meisten Menschen gar keine Freiheit, weil dies mit Verantwortung einhergeht, es ist leichter, sich dirigieren zu lassen und in der Masse mitzuschwimmen. Zum anderen gibt es wohl tausende Vorurteile und Glaubenssätze, die uns unterbewusst einreden, warum es nicht gut, in Ordnung oder erlaubt sei, vermögend zu sein. Und ich glaube, die Kirche mit ihrem riesigen Einfluss hat dazu die letzten Jahrhunderte ihren großen Teil dazu getan…. Liebe Grüße!
Congrats Johannes!
Mit so kreativen und vor allem exzellenten Zugängen rockst und inspirierst du die Finanz Szene, die Leser und schaffst damit auch die Grundlage dafür, dass sich Menschen kritisch mit ihren Lebenszielen, ihrem Money Mindset und den restlichen Glaubenssätzen auseinander setzen und sich die Frage ehrlich beantworten: Will ich die Verantwortung für mich (und meine Familie) übernehmen und ein selbst bestimmtes Leben führen oder nicht?
Ich möchte mich ebenso in einem zukünftigen Blog diesem Thema widmen, nach dem Motto: Die richtigen dinge tun und dann, die Dinge richtig tun!
Danke für deine Inspirationen
ipoint